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Thielemann irritiert mit fragwürdigen Strauss-Werken

Freier Feuilletonmitarbeiter
Christian Thielemann dirigiert bei seinem Gastspiel in Berlin politisch äußerst anrüchige Kompositionen von Richard Strauss.

Die Berliner Philharmoniker haben in den letzten Jahren vorbildliche Aufklärungsarbeit geleistet, was ihre Verstrickung in den Propaganda-Apparat der Nazis betrifft. 2007 erschienen der Dokumentarfilm "Das Reichsorchester" und das gleichnamige Buch. Fritz Tümpi vergleicht eben in seiner Studie "Politisierte Orchester" (Böhlau) den von den Braunen befeuerten Wettbewerb zwischen den Berliner und den Wiener Philharmonikern um die Vormachtstellung im Reich.

Im "Reichsorchester"-Film redeten sich freilich einige der damals aktiven Musiker um Kopf und Kragen. Sie schienen nichts gelernt zu haben und sahen Musik nach wie vor als politikfreien Raum. So wie offenbar auch heute noch ein Großteil des Publikums, offenbar die Verantwortlichen und auch die Kritiker. Wie kann man sich sonst erklären, dass dort nun weitgehend unkommentiert in einem Programm unter Christian Thielemann - eingebunden in eine von Renée Fleming und Thomas Hampson vokal luxuriös dargebotene Auswahl von Orchesterliedern - nicht nur erste Güte, sondern auch zwei zweitklassige Strauss-Werke gespielt wurden, die noch dazu historisch belastet sind?

Die Rede ist von einem den Abend schmetternd eröffnenden Blechbläserchoral namens "Festmusik der Stadt Wien", von Strauss offeriert dem Statthalter Baldur von Schirach und uraufgeführt 1943, am 5. Jahrestag des Anschlusses der Stadt (und Österreichs) an "Großdeutschland". "Äußerste Virtuosität fordert die Festmusik mit ihren brillanten Sechzehntelkaskaden den Interpreten in jedem Falle ab, weshalb es dem Werk nutzen und frommen wird, einmal in den heiligen Hallen der Philharmonie zu erklingen", salbadert dazu das Programmheft.

Als Abschlussapotheose wurde ein orgelumtoster C-Dur-Lärm namens "Festliches Präludium" geboten. Das entstand zwar 1913, wurde aber, wie das Programm nüchtern angibt, zuletzt "1943 im Rahmen der Vorfeiern zum Geburtstag Adolf Hitlers" von den Philharmonikern gespielt.

Das stimmt zwar nicht, man nahm das Machwerk auch 1966 unter dem einst dem "Kampfbund für deutsche Kultur" angehörenden Karl Böhm auf und intonierte es 1979 - unter dem einstigen NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan - zur Eröffnung des ICC, aber besser wird diese seltsame Programmauswahl so kaum.

Auch nicht durch die Tatsache, dass der gern mit dem Feuer spielende Thielemann bei den Berlinern freie Programmwahl hat. Mahler mag er nicht sonderlich, aber offenbar selbst mediokren, politisch anrüchigen Strauss. Viele prominente Philharmoniker spielten in diesem Programm nicht, auch die beiden jüdischen Streichersolisten Guy Braunstein und Amihai Grosz waren abwesend.

Es gab Buhs am Ende der Konzerte, obwohl die Siegelringträgerfraktion im Publikum überwog. Man darf gespannt sein, ob die Philharmoniker das per Internet abrufbare Konzert weiterhin so einfach stehen lassen.

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